Kultur der australischen Ureinwohner (Aborigines – Indigenous People)

Es gibt wohl kaum ein heikleres, sensibleres Thema für Australier als das Verhältnis zu ihren Ureinwohnern. Es ist geprägt von gegenseitigen Vorurteilen, Halb- oder Nichtwissen.

Rund um dieses Thema existieren zahlreiche Mythen, die häufig publiziert werden, aber deswegen noch lange nicht korrekt sein müssen. Die Kulturen von weißen und „schwarzen“ Australiern unterscheiden sich in vielen Punkten. Die Ureinwohner sehen sich als integrierten Bestandteil der Natur. Materielle Güterwirtschaft und Sesshaftigkeit haben in der Gesellschaft der Ureinwohner nicht den gleichen Stellenwert wie in der europäisch geprägten Einwanderer-Gesellschaft. Ein vorprogrammierter Konflikt: Die weißen Siedler brauchten für Ihr Verständnis von Existenz Landbesitz – gleichzeitig die Basis der eingeborenen Gesellschaft. Ein Konflikt, der bis heute andauert. Wir möchten versuchen nachfolgend mit einigen Hintergrund-Informationen dieses schwierige Thema zugänglich zu machen, erheben dabei aber nicht den Anspruch dieses umfassende Thema komplett zu umreißen.

Begriffe

Bezeichnung der australischen Ureinwohner durch die weißen Siedler: Aborigine (Subst.); aboriginal (Adj.); ab origine (lat.) = Ureinwohner / ursprünglich: sagenhaftes Stammvolk der Latiner (Landschaft Latium in Italien, heute „Lazio“ mit Hauptstadt Rom).

Die australischen Ureinwohner lehnten lange Zeit den stark vereinfachenden Dachbegriff „Aborigines“ ab und nutzten ihn selbst nicht zur kulturellen Identifikation. Der von Europäern aufgezwungene Begriff Aborigines war in der Vergangenheit mit rassistischem und sozial-darwinistischem Gedankengut verknüpft und im englischen Sprachgebrauch auch negativ besetzt.

Das hat sich jedoch 2011 geändert: Über einen unserer Leser erhielten wir im Januar 2011 eine Stellungnahme von Ray Jackson, dem Präsident der Indigenous Social Justice Association. Er schreibt sinngemäß, dass der Begriff einem Wandel unterzogen wurde. So sei aus einem Begriff der Geringschätzung heute durchaus für viele die Bezeichnung „Aborigine“ eine Bezeichnung, die den Stolz der australischen Urbevölkerung nicht mehr verletzte. Das sei vergleichbar des Begriffswandel bei den Afroamerikanern, die zunächst diskreditierenden Begriff „Schwarzer“ im Rahmen der Black Power Bewegung Ende der 60er Jahre mit neuer, positiver Bedeutung erfüllt haben.

Die Frage der wirklich korrekten Bezeichnung ist nicht abschließend geklärt. So wurde bei einer Konferenz 2010 auch mal die Bezeichnung ‚origine‘ als mögliche Beschreibung der Aboriginal People diskutiert und doch wieder als unpassend verworfen.

  • Als rassistisch und hochgradig „politically incorrect“ gilt die Kurz-Bezeichnung „Abo“, vergleichbar zu „Nigger“. Auch die Bezeichnung „full blood“ ist diskriminierend.
  • Die Bezeichnung „aboriginal“ findet man sowohl als Adjektiv, wie auch als Substantiv. Als Adjektiv ist ‚Aboriginal‘ politisch korrekt. Bei der Bezeichnung „Aboriginal people(s)“ wird üblicherweise ein großes ‚A‘ verwendet, um eine Unterscheidung zu anderen aboriginal peoples z.B. denen in Kanada zu ermöglichen.
  • In Australien trifft man des Öfteren auch auf die Bezeichnung „Indigenous People“ vom lat. Begriff indigen. Viele Aborigines haben mit „Aborigine“ kein Problem, mit dem Begriff „indigenous“ dagegen schon.

In Australien nutzen die Ureinwohner selbst zunehmend auch (zum Teil überregionale) Selbstbezeichnungen. Einige Bezeichnungen lassen sich auch primären Siedlungsgebieten zuordnen. Im Northern Territory (wie auch wahrscheinlich im norden Westaustraliens) identifizieren sich Leute nach wie vor hauptsächlich mit ihren lokalen Sprachgruppen, d.h. es gibt keine überregionale, sondern nur lokale Selbstbezeichnungen. So leben die ‚Yolngu‘ östlich von Darwin in Arnhemland, in Darwin selbst aber sind es die ‚Larrakia‘ und in Zentralaustralien gibt es die Arrernte (früher Arunta), Kaytetye, Alyawarr, Anmatyerr, Warumungu, Warlmanpa, Wakaya, Akarre, um nur ein paar Gruppen zu nennen.

Überregionale Selbstbezeichnungen der indigenen Einwohner finden Sie in der Tabelle unten –hauptsächlich für Gebiete entlang der Ost- und Südküste. So bezeichnen sich die indigenen Einwohner in Queensland generell als „Murri“, in New South Wales und Victoria als „Koori“, in Südaustralien als „Nungar“, im Norden Südaustraliens jedoch als „Anangu“ (= Menschen), in Südwest Westaustralien als „Nyoongar“.

Region Gruppenbezeichnung
Osten Murri
Südosten Koori
Süden Nanga
Südwesten Nyungar
Westen Wonghi

Die Ureinwohner der tropischen Inseln im Norden werden mit dem Sammelbegriff „Torres Strait Islander“ bezeichnet.

Die Traumzeit – vor Ankunft der europäischen Siedler

Der Begriff „Traumzeit“ steht für eines der umstrittensten und kompliziertesten Konstrukte im Bereich aboriginaler Kulturen überhaupt: Er entstand aufgrund von Missverständnissen zweier Ethnologen, die mit unzureichenden Übersetzungen der aranda-Vokabel „altjira rama“ arbeiteten und deren Bedeutungen vermischten. „altjira rama“ bedeutet stark vereinfacht gesprochen „die Fähigkeit, wie im Traum oder in einer Vision einen konkreten Ort von großer persönlicher Bedeutung für den jeweiligen Sprecher „sehen“ zu können.“ Eine verkürzte Version des Begriffs (altjiranga) bezeichnet etwas, „das von Anfang an und in aller Ewigkeit vorhanden“ war und ist. (altjeringa ist die englische Adaption von altjiranga). Diese Vermischung der Begrifflichkeiten mündete im englischen „dreamtime“, was schließlich als Traumzeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts Eingang in die deutsche Sprache fand und u.a. durch Ethnologie und Psychoanalyse (Freud) für eine Mystifizierung aboriginaler Kulturen als letzte, mit der Natur in Harmonie lebende „Steinzeit“-Menschen sorgte. Diese Faszination strahlt der Begriff noch heute aus. Wenn man den deutschen Begriff erklären möchte, dann eher als eine Art Parallelzeit, nicht als „Vor-Zeit“. Natürlich birgt die Vorstellung, die wir Traumzeit nennen, für die verschiedenen aboriginalen Gruppen auch unterschiedliche Inhalte, die sich von mitteleuropäischen Assoziationen des Begriffs stark unterscheiden.

Siedlungsbeginn
Nicht vollkommen geklärt. Die meisten wissenschaftlichen Ansätze gehen von einem Siedlungsbeginn vor 40.000 bis 60.000 Jahren aus. Einzelne Studien sprechen sogar von 120.000 Jahren. Sicher nachweisbar ist eine vollständige Besiedlung des Kontinentes seit 32.000 Jahren. Dabei wurden Felszeichnungen im Kakadu NP datiert. Das älteste Skelett in Australien wurde am Lake Mungo (New South Wales) gefunden. Die Universität von Canberra geht davon aus, dass es sich dabei um die älteste DNS eines Menschen handelt – ca. 60.000 Jahre alt. Sie enthalten Spuren von aufgetragenen Ockerfarben, die höchstwahrscheinlich für Zeremonien genutzt wurden.

Abstammung
Es wird vermutet, dass die Besiedlung von Indonesien begonnen hat. Die Landmasse Australiens und der indonesischen Inseln hatte zu dieser Zeit durch einen niedrigeren Meeresspiegel eine größere Ausdehnung. Man nimmt derzeit an, dass der Meeresspiegel vor 40.000 Jahren 90 Meter niedriger war. Ein ansteigender Meeresspiegel trennte Australien später wieder weiter von den asiatischen Inseln.

  • Unklar ist, ob die heutigen australischen Ureinwohner bei ihrer Einwanderung ausreichende Kenntnis in Navigation hatten oder entsprechend taugliche Schiffe oder Flöße.
  • Bei Ankunft der Europäer (Tausende von Jahren später) konnten dafür keine Anzeichen festgestellt werden.

Im Erbgut australischer Ureinwohner fanden Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig Spuren, die darauf hindeuten, dass vor zirka 4000 Jahren bereits Menschen aus Indien nach Australien eingewandert sind. Diese Erkenntnisse wurden erstmals im Januar 2013 von einem Forscher-Team um Irina Pugach im Fachjournal PNAS veröffentlicht. Die Studie will nachweisen, dass es nach der ersten Einwanderung von Menschen auf dem australischen Kontinent vor zirka 60.000 Jahren immer wieder Einwanderungswellen gab und die Aboriginies nicht, wie bislang angenommen, bis zur Ankunft weißer Entdecker 1606 in Isolation lebten. In dieser Studie wird auch auf die jeweils auffallend dunkle Hautfarbe mancher Aboriginies hingewiesen, die auf eine Verwandtschaft mit Menschen im Hochland von Neuguinea und den Mamanwas, einem Volk auf den Philippinen, hinweisen könnte. Diese Einflüsse dürften gemäß der Analyse des Erbguts bereits rund 35.000 Jahre zurückliegen. Für beide möglichen Einwanderungswellen spielt eine Rolle, dass es in der Erdgeschichte immer wieder Landbrücken zwischen Australien und seinen nördlichen Nachbarn gab, wenn der Meeresspiegel gesunken war, weil das Wasser in einer Eiszeit an den Polen und vielen Gletschern gebunden war.

Siedlungsräume
Schon vor Ankunft der Weißen lebten die meisten indigenen Australier an der klimatisch bevorzugten Ostküste. Das trockene rote Zentrum war allerdings nicht unbesiedelt sondern Heimat einer bedeutenden Anzahl von Gruppen und mutmaßlich stärker besiedelt als heute. Die Gruppenverbände mit rund 500 bis 700 Personen, unterteilten sich in sesshafte oder meist wandernde Gruppen von etwa 20 bis 50 Personen. Die Grenzen der Gruppen waren nicht abstrakt gezogen durch irgendwelche Federstriche auf Landkarten sondern ergaben sich vielmehr aus natürlichen Grenzen, wie Bergrücken und Flussläufe. Auseinandersetzungen wegen territorialer Besitzansprüche gab es häufig, was in einer idealisierenden „Traumzeit“-Literatur häufig nicht erwähnt wird. Die Region der Riesen-Outback-Farmen, in denen heute z.B. 200 Menschen leben, ernährte früher verschiedene Gruppenverbände mit bis zu 2.500 Mitgliedern.

Landbesitz
Im Gegensatz zu anderen Völkern bewirtschafteten die Aboriginal People das Land nicht, sondern lebten vom kontrolliertem Verbrennen des Landes, das sogenannte fire-stick farming. Diese Form wird mittlerweile als Urform der Landwirtschaft angesehen. Sie haben keinen Sinn für Landeigentum entwickelt, auch wenn die Kinder der Ureinwohner frühzeitig lernen, dass die Menschen dem Land gehören und die Gruppengrenzen respektieren zu haben. Die Gruppen kehrten zu bestimmten Stätten zurück, um Tote zu begraben. Einige Gebiete wurden aufgrund ihrer Verbindung mit der Traumzeit zu heiligen Stätten erklärt.

Bevölkerung

  • Über die Bevölkerungszahl zur Zeit der Ankunft der weißen – europäischen – Siedler gehen die Schätzungen auseinander. Sie liegen zwischen 300.000 und 1.000.000.
  • 2012 lebten etwa 500.000 Aboriginal People in Australien.
  • Aufgrund von rassistischen Vorurteilen bezeichneten sich viele Mischlinge in Volksumfragen bis in die 90er Jahre als Weiße, wodurch eine hohe Dunkelziffer entstand. Diese Tendenz ist in den letzten Jahren rückläufig, was zu einem statistischen Anstieg der aboriginalen Bevölkerung führt.

Eine konstante Zahl der Bevölkerung wurde vor Ankunft der Weißen durch Geburtenkontrolle gewährleistet. Sexuelle Tabus, Abtreibungen, Kindstötungen (vor allem bei Zwillingsgeburten), waren keine Seltenheit, da es für die Frauen unmöglich war, den ganzen Hausrat und mehr als zwei Kinder mit sich zu tragen. Auch andere nomadisch lebende Gesellschaften kennen solche Regeln.

Nahrung
Heute als modische Kochzutat absolut en vogue: Der „Bushtucker“ der Jäger & Sammler – Aboriginal People nutzen Bumerangs und Speere. Sie trugen keine Kleidung und bauten – mit einigen Ausnahmen – keine Häuser. Die Ausnahmen: Eher sesshafte Gruppen an der Ostküste bauten aus Baumrinde sog. „miamias“. Bei der Nahrungsbeschaffung war das Gesammelte der Frauen meist von größerer Bedeutung, vor allem aber konstanter, als der Jagderfolg der Männer. Eine der bereits sehr früh entwickelten Jagdmethoden basierte auf dem geschickten Einsatz von Feuer. Aller Wahrscheinlichkeit nach bestand für die Aboriginal People nie der Bedarf Feldbau zu betreiben.

Sozialstruktur
Die Gesellschaften der Ureinwohner waren, und sind oft nach wie vor, hierarchisch gegliedert und zwar nach Alter und Wissen. Sozusagen eine Gerontokratie in der die „Stammesältesten“ („Elders“) das meiste Sagen haben. Auf einer anderen Ebene ist diese Struktur egalitär, da jede Person die gleiche Chance hat sich Wissen anzueignen und dadurch irgendwann ein „Elder“ mit Autorität zu werden. Die Ältesten besitzen relativ viel Autorität. Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die die ganze Gruppe betreffen, ist ihr Rat in der Regel entscheidend. Die ganze Gruppe kann an Entscheidungen teilnehmen, aber Entscheidungen gelten nur wenn die Ältesten zustimmen. Und nachdem alles, was die Ureinwohner traditionell machten, von ihrem ‚Gesetz‘ – „the Law“ – bestimmt wurde (Heiratsregeln, ‚Tabus‘, wer wann wo jagen oder sammeln durfte etc.) hatten die Ältesten Einfluss auf alle Bereiche des Lebens (das Leben war ein ritueller Akt).

Selbstverständnis
Etwa 80% der Ureinwohner wohnen heute in urbanen Siedlungsräumen und damit nicht mehr „irgendwo im Outback“. Viele fühlen sich dort unwohl. Nach ihrem Glauben sahen sich Aboriginal People als integrierten Teil ihrer natürlichen Umgebung. Sie befolgten strikte Verhaltensregeln im Umgang mit der Natur. Diese Haltung ist Neuerungen gegenüber sehr zurückhaltend. Termine zu vereinbaren und einzuhalten war dabei ebenfalls unwichtig – aufgrund völlig anderer kultureller Grundlagen und Notwendigkeiten. Die ersten Europäer empfanden folglich die Kultur als archaisch und fremd – vergleichbar mit den steinzeitlich lebenden Papua auf Neuguinea. Aus diesen Eindrücken resultierte die Behandlung aboriginaler Gruppen in der Folgezeit des Erstkontaktes. Sie entstand aus einer Mischung von völliger Unkenntnis der Kultur, falschen Interpretationen und der fehlenden Bereitschaft, sich dem Unbekannten zu öffnen.

Kunst
Die Schriftform war unbekannt. Bildende und darstellende Kunst waren wichtige Ausdrucksmittel – um mündlichen Aussagen Nachdruck zu geben und zur Erinnerung an die Gruppengeschichten und religiösen Traditionen. Gemalt wurde auf Felsen, Höhlenwände und auf Baumrinde – vorwiegend in Erdfarben. Typisches Merkmal für das südliche Northern Territory ist die nahezu ausschließliche Reduktion auf Punkte und Striche, quasi eine Rastertechnik – früher Pointillismus. Im Arnhemland und dem Kakadu NP ist der Röntgenstil zu sehen. Figürliche Darstellungen finden sich im Südosten & der Kimberley Region (z.B. die Wandjina Geister oder Handabdrücke).

Sprache
Fast 300 verschiedene Sprachen und Dialekte wurden gesprochen. Heute sind es etwa 50, die von Gruppen gesprochen werden, denen mindestens 100 Ureinwohner angehören. Unter 20 Sprachen werden von mehr als 500 Aboriginal People verwendet. Die Sprachen sind grammatikalisch hoch entwickelt. Aus Sicht der Aboriginal People ist die englische Sprache völlig ungeeignet ihr Verhältnis zu ihrer Heimat zu beschreiben. Viele Sprachen sind inzwischen ausgestorben, es haben sich aber zum Teil aus überlebenden Resten, die sich mit anderen aboriginalen Sprachen und Pidgin-English mischten, neue Sprachen entwickelt. Diese werden nicht nur gesprochen, sondern auch geschrieben (erzählende Literatur, Gedichte, oral narratives).

Nach Ankunft der europäischen Siedler

Rechtlosigkeit
Bei der Besiedlung wurde Australien als Terra Nullius (Niemandsland) gesehen. 1836 wurde den Aboriginal People die Fähigkeit zur organisierten Landnutzung (und die Tatsache, dass sie das Land wirklich genutzt haben) abgesprochen und die Landrechte der Ureinwohner für nichtig erklärt.

Vertreibung
Aboriginal People wurden als zum Aussterben verurteilte Rasse primitiver Nomaden gesehen, deklariert und so behandelt. Die Ureinwohner wurden aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Die Europäer gingen teilweise mit äußerster Härte vor. Aboriginal People wurden gejagt, vergiftet und erschossen.

  • Besonders drastisch ist das Schicksal der Ureinwohner Tasmaniens: 4.000 von ihnen setzten sich zur Wehr und wurden binnen 70 Jahren vollständig vernichtet.
  • Noch in den Zwanzigerjahren wurden Aboriginal People auf sonntäglichen Treibjagden von Viehtreibern erschossen und «ihre Köpfe auf der Veranda zum Trocknen aufgestellt». Illegal – aber durchaus entsprechend dem Zeitgeist.

Die Universität von Newcastle in Australien trägt einen Baustein zur Aufbereitung dunkler Kapitel der australischen Geschichte bei: Über die Online-Karte „Colonial Frontier Massacres in Eastern Australia 1788-1872“ zeigt Orte von Kämpfen zwischen Siedlern und der indigenen Bevölkerung. Unter den Opfern waren vorwiegend Aborigines. Insgesamt sind dabei Zehntausende Menschen getötet worden. Um die Erinnerung vor Ort wach zu halten oder zum Teil überhaupt erst zu ermöglichen haben Wissenschaftler zahlreiche Quellen aus dem betreffenden Zeitraum ausgewertet – inklusive Zeitungen, Briefe und Tagebücher. Aus Sicht der Wissenschaftler herrschte damals Krieg. Fast jeder Stamm der Aborigines war von Massenmorden betroffen.
🔗 University of Newcastle – Map: Colonial Frontier Massacres in Eastern Australia 1788-1872

Krankheiten & Seuchen
Masern und Syphilis dezimierten die Anzahl der Aboriginal People weiter. 1789, 1829-32, 1865-70 wüteten Pockenepidemien, von denen die weißen Siedler verschont blieben, da sie gegen die von ihnen eingeschleppten Erreger weitgehend resistent waren. Übergewicht und Diabetes sind heute weit verbreitet.

Depression & Apathie
Aus Sicht der Ureinwohner wurde und wird ihre Welt nach und nach zerstört. Viele sind physisch und geistig entwurzelt. Parallel dazu sinkt ihr Selbstrespekt sowie der Lebenswille. Dies führt oft zur Flucht in Apathie, Depression und Drogen. So entstand ihr Ruf faul und „unnütz“ zu sein. Im Gegensatz zu den Schwarzen Südafrikas, die während der Apartheid-Politik mit Terror und Aufständen die Weltöffentlichkeit auf sich aufmerksam machten, blieben die australischen Ureinwohner eher lethargisch.

Alkohol und Drogen
Alkohol ist heute die größte Geisel der Aboriginal People: Viele trinken sich mit billigem, gepanschten Fusel um den Verstand – bis in den Tod. Junge Aboriginal People schnüffeln sich mit Benzin in den Wahnsinn. Unter diesen Drogen-Problemen leidet die ganze Familie – und damit das Herzstück der Ureinwohnergesellschaften.

Missionen
Die Kolonialverwaltung versuchte nach eigener Definition dem Zerfall der Kulturen durch Errichtung von Reservaten und Entsendung von Missionaren gegenzuwirken. Der Erfolg war ausgesprochen mäßig: Von 1860 bis 1940 dauerte der Versuch, eingefangene Aboriginal People in Reservaten zu halten und ihnen die weiße Lebensweise mit staatlicher Versorgung aufzuzwingen.Hinter dem scheinbar hehren Ziel der Mission steckte ein handfestes politisches Interesse. Viele Geschichtsforscher sehen heute das Kernziel der Mission in der Zerstörung der Ureinwohnerkulturen: Die Menschen sollten als billige Arbeitskräfte dienstbar gemacht werden. Viele Missionen bzw. staatliche Einrichtungen (selbst Privatleute wie zB. Daisy Bates) sahen ihre Aufgabe im „smoothing of the pillow on the black man’s death bed“, also darin, das Aussterben der Schwarzen in Australien wenn nicht zu beschleunigen, so zumindest „angenehm“ zu machen.

Erfolgreiche und gescheiterte Schritte zur Eingliederung

Kinderraub
Ein besonders brutaler Versuch der Assimilierung wird erst seit Ende der 90er Jahre von der autralischen Gesellschaft aufgearbeitet: Bis ca. 1970 trennten Regierung und Kirche Tausende von Kindern von ihren Eltern. Diese «gestohlene Generation» wurde bei Pflegefamilien und in Missionsstationen untergebracht. Ein beeindruckender Film ist „The Long Way Home“, den wir näher auf der Film-Seite vorstellen.
🦘 Filme aus und über Australien – auch über und mit Aborigines.
Rechtslage

Die weißen Australier taten sich schwer mit der Erteilung voller Bürgerrechte für die Ureinwohner.

1961 Aboriginal People erhalten Wahlrecht
1967 Gründung des Referates für Aboriginal-Angelegenheiten:
Die Effizienz der Institution ist ein Dauerstreitpunkt australischer Innenpolitik. Milliarden wurden u.a. in die medizinische Versorgung gesteckt um z.B. die dramatische Säuglingssterblichkeit (war 10-fach im Vgl. zu Weissen) zu reduzieren. Unterschlagungen und mangelhafte Buchführung sind häufige Probleme bei der Verteilung finanzieller Mittel bei Aboriginal-Projekten.
1980 ff. Die Rassentrennung an Schulen und in manchen Stadtbezirken wird nach und nach aufgehoben.
1993 Mabo-Gesetz beendet Rechtslage von „Terra Nullius“: Aboriginal People haben Recht auf „native titles“ – Rückforderung von ureigenem Land. Voraussetzung: Nachweis einer jahrhundertelangen, konstant andauernden, Beziehung zu einem Land.
Ureinwohnerstämme meldeten Ansprüche auf fast 40 Prozent der Fläche an. Dabei sollen die bisherigen Nutzer nicht vertrieben werden, aber Rechte zur Durchführung religiöser Handlungen und zur Jagd auf Wildtiere sowie Wegerechte eingeräumt werden.
1998 Wik-Gesetz schränkt Forderungen der Ureinwohner ein: Landrechts-Ansprüche auf Gebiete, die vom Staat an Bauern oder Bergbaugesellschaften verpachtet sind, können nicht erhoben werden. Lediglich finanzielle Entschädigung kann verlangt werden. Finanziert werden sollen sie aus Steuermitteln. Es wird mit Kosten in Milliarden-Höhe gerechnet.
1999 Verfassungs-Präambel abgelehnt: Ein Vorwort zur Verfassung, dass u. a. die Aboriginal People als erstes Volk Australien anerkennen sollte, wurde abgelehnt.
2000 Mehrere Protestmärsche mit bis zu einer halben Million Teilnehmern für die Rechte der Aboriginal People spiegeln das geänderte Rechtsbewusstsein des weissen Australiens.
2004 Nach dem Tod eines 17-jährigen gibt es im Februar Krawalle in der Ureinwohnersiedlung in Sydneys Stadtteil Redfern.
2008 Endlich: Die neue Regierung unter Kevin Rudd richtet ein offizielles „Sorry“, eine Entschuldigung, an die Ureinwohner

Status Quo

Entwurzelung
Es gibt nur noch wenige Gebiete, wo Aboriginal People traditionell leben bzw. leben wollen. Sie leben mit einem Kompromiss zwischen den beiden Lebensstilen und sind meist weder hier noch dort zu Hause. Etwa die Hälfte wohnt in und um ländliche Kleinstädte, ca. ein Viertel in den Grossstädten.

Soziale Situation
Nach dem „Overcoming Disadvatage Report 2009“, einer Studie der australischen Regierung, sind Kinder von Ureinwohnern sechsmal mehr in Gefahr, missbraucht zu werden. Die Mordrate ist bei den Ureinwohnern siebenmal so hoch. Die Wahrscheinlichkeit, im Gefängnis zu landen, ist 13 mal höher. 46 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen landen irgendwann in ihren Leben im Gefängnis. Zwei Drittel der Ureinwohnerkinder schaffen ihren High School-Abschluss nicht.

Versöhnung
Für ihre Rolle bei den Zwangs-Adoptionen haben sich u.a. offiziell entschuldigt: Die Kirchen und der Generalgouverneur als Vertreter des australischen Staatsoberhauptes – der Königin Elizabeth II.

Radikalisten
Während die städtische Bevölkerung eher für Versöhnungsmassnahmen plädiert, gibt es auf dem Land oft Stimmen zur Beibehaltung eines ausgrenzenden Kurses.Umstritten sind insbesondere die Milliarden schweren Projekte zur Unterstützung der Aborigines. Die Partei „One Nation“ vom rechten Rand des Parteienspektrums versuchte insbesondere Mitte der 90er Jahre Profit aus einem latenten Rassismus zu ziehen. Auch manche Aboriginal-Aktivisten bringen die Sache der Ureinwohner in Misskredit.

Ureinwohner-Siedlungen
Bekanntestes Beispiel eines städtischen Wohngebietes mit enormen Problemen ist der Bezirk Redfern in Sydney (3 km W des Stadtzentrums). Das Viertel ist als „The Block“ bekannt. 1973 kaufte die Regierung das Land und übergab es einer Wohnungsgesellschaft der Aborigines die eigens dafür gegründet wurde. Gedacht waren der Block mit 21 Häusern als Sozialwohnungen und zunächst wurde dessen Einrichtung als symbolischer Sieg im Kampf um mehr Landrechte gefeiert. Etwa ab 1985 machte das Viertel jedoch Schlagzeilen. In Redfern ist Drogenmissbrauch, Arbeitslosigkeit, Jugendkriminalität und Gewalt zuhause – häufig gepaart mit einer zutiefst empfundenen Entwurzlung und Perspektivlosigkeit. Konflikte zwischen der Polizei und den Aboriginal People sind in Redfern nahezu Alltag. Immer wieder werden Beamte von den Bewohnern des Rassismus beschuldigt. Es ist wahrscheinlich das negativste Beispiel für eine Siedlung urbanisierter Aboriginal Pepole. Da sie nur wenige Kilometer von der Oper entfernt liegt, werden immer wieder populistische Rufe nach der Abrissbirne laut.

Hoffnung für die Zukunft

Bergbau
In der Region Pilbara wird in der Hamersley Range Eisenerz gefördert. Bei der Minengesellschaft in der Pilbara Region zählen seit Ende der 80er Jahre Kompetenz und Leistung, nicht Hautfarbe und Herkunft. Aboriginal People arbeiten hier bereits in höheren Positionen und werden voll akzeptiert.

Tourismus
Mit verschiedenen ambitionierten Tourismusprojekten erwirtschaften Aboriginal People jedes Jahr Hunderte von Millionen Dollar zum Volkseinkommen. Mittlerweile profitieren die Aboriginal People auch vom Tourismus zu ihren heiligen Stätten, wie zum Beispiel dem Kakadu NP oder dem Uluru (Ayers Rock). Weitere touristische Gebiete mit engem Aboriginal-Bezug sind u.a. Tiwi IslandsKings CanyonKatherine und Cape Tribulation.

Kunst
Ein schmaler Grat liegt zwischen der seriösen Vermarktung der Kunstwerke – Malereien und Plastiken sowie der Boomerangs. Im südlichen Northern Territory sind die „Dot Paintings“ zum Inbegriff der Aboriginal-Malerei geworden. Kooperativen haben sich zur Vermarktung gegründet und sind damit so erfolgreich, dass sie sich mittlerweile bereits gegen Kopierfälschungen wehren müssen.

Musik
Gleich zweifach bietet die Musik Möglichkeiten als Hoffnungsträger zu gelten:

  • Das australische Didgeridoo erfreut sich als Musikinstrument rasant steigender Beliebtheit.
  • Popbands wie Yothu Yindi verknüpften Aboriginal-Elemente geschickt mit kommerziellen Einflüssen und bieten so auch via Mainstream einen – wenngleich nicht ganz originären Zugang – zu kulturellen Elementen der Aboriginal People.

Für tiefergreifende Informationen empfehlen wir Ihnen die Website von Jens-Uwe Korff aus Sydney. Seit 1994 beschäftigt er sich ausführlich mit der Kultur der australischen Ureinwohner. Er betreibt seit langem eine Website, auf der er seit Artikel publiziert, die von Aborigines und Weißen gleichermaßen geschätzt werden. Er bezieht sich dabei überwiegend auf Aboriginal Quellen und hat sich so den Ruf eines seriösen Berichterstatters erworben. Wer sich mit dem Thema tiefergreifend beschäftigen will – bis hin zum Rahmen einer Batchelor- oder Masterarbeit ist auf der Website von Jens Korff bestens aufgehoben.
🔗 Creative Spirits

Themenverwandte Seiten in AUSTRALIEN-INFO

🦘 Australiens Geschichte – die wichtigsten Stationen
🦘 Australiens Kultur
🦘 Australiens Musikinstrument Nummer 1: Didjeridu

WeiterE INFORMATIONEN

🔗 Aboriginal Art & Culture Centre
Ein Aborigine-Stamm der Southern Arrernte Aboriginal tribal group, ca. 100 km entfernt von Alice Springs hat sich dem Cyberspace aktiv geöffnet. Er ist via Online-Shop aktiv im Verkauf von Kunsthandwerk und betreibt vor Ort florierende Tourismus-Aktivitäten. Auf der Web-Site kann man unter anderem eine virtuelle Reise in die Zeit der Dreamtime antreten, die Kunstgalerie besichtigen und detaillierte Informationen über das Didgeridoo in der „Didgeridoo-Universität“ finden. Allerdings braucht es für die Ladezeit mancher Seite etwas Geduld – diese wird aber belohnt.
🔗 Northern Land Councils
Der aktuelle Stand im Kampf der Aborigines um die Landrechte aus Sicht der Aborigines im Northern Territory.