School of the Air

Der flüchtige Reisende unterliegt im heißen, trockenen Inneren des roten Kontinentes schnell einer Täuschung: Das scheinbare menschenleere Land ist in vielen Regionen doch bewohnt. Allerdings ausgesprochen dünn. Riesige Farmen erstrecken sich auf Gebiete zwischen tausend und zehntausend Quadratkilometern – und bedecken damit bis zu einem Viertel des Gebietes der Schweiz. Der trockene Boden lässt nur extensive Viehzucht zu – mehr als ein Rind pro Quadratkilometer ist selten möglich. Dabei ernährt sich das Vieh selten von Gras, meist von Baumblättern.

Die Schule kommt zu den Schülern

Auf diesen Farmen sind auch Kinder zuhause, die ganz anders aufwachsen als ihre Altersgenossen in den Großstädten des Küstengürtels. Dort sind rund 90% der Australier zuhause. Im Outback lernen sie Reiten statt Inline-Skating. Die einsame, raue Umgebung prägt sie. Ihr Schulweg beträgt theoretisch bis zu 1.000 Kilometer, de facto meist nicht viel mehr als ein paar Schritte ins nächste Zimmer. Dort treffen sie sich mit ihren Mitschülern – über Funk und neuerdings auch im Internet.

Die Kinder können jederzeit Neuigkeiten aus ihrem Erlebnisumfeld berichten, z.B. über ihre Lieblingstiere, das Leben auf der Farm usw. Diese Berichte sind bei den Klassenkameraden sehr beliebt. Ihre Mitschüler funken aus Farmen, Gemeinschaften der australischen Ureinwohnern – der Aboriginals, National Parks, Missionen, Polizeistationen, Straßenbau-Lagern, Fernstraßen-Raststätten und Bergbausiedlungen. Die beteiligten Familien kommen aus den verschiedensten sozialen Schichten. Bedauerlicherweise sind nur etwa 15% der Schüler Aboriginals.

Schnittstelle: Eltern oder Betreuer

Die Fernkurse in englischer Sprache erfordern eine qualifizierte Betreuung zu Hause von einer Person mit guten Englischkenntnissen, welche den Ureinwohnern leider oft fehlen. Meistens betreuen die Eltern, normalerweise die Mutter, die Kinder bei den Fernkursen. Die Betreuer, müssen die mittlere Reife haben, aber keine ausgebildeten Lehrer sein. Ihre Aufgabe ist nicht zu unterschätzen. Die Betreuer erhalten Stundenpläne mit Angaben über die Zeit, die Schüler täglich für die einzelnen Fächer aufwenden sollen. Sie brauchen Geduld und sehr viel Vorbereitungszeit. Sie organisieren unter anderem den schulischen Arbeitsplatz zu Haus, achten auf die Einhaltung der täglichen Routine, beaufsichtigen schriftliche Fernkurse und Radiolektionen, überprüfen und besprechen die Schularbeiten der Kinder. Man erwartet von ihnen, dass sie sich täglich mindestens eine Stunde für den Unterricht am nächsten Tag vorbereiten. Einige Eltern haben zusätzlich die „Assoziation der Eltern Isoliert lebender Kinder“ (ICPA) gegründet, die eng mit den Schulen kooperiert.

Die Betreuer treffen sich einmal jährlich in der Schule zur Instruktion und Besprechung mit den Lehrern. Außerdem halten die Lehrer laufend Kontakt zu den Betreuern durch die regulären Radio-Sitzungen bzw. durch individuellen Radio- oder Telefonkontakt.

Ein Funknetz sichert die Bildung

1916 begann man auf dem fünften Kontinent für Kinder im Hinterland den Schulunterricht in schriftlichen Fernkursen (Correspondence Schools) anzubieten. Diese Ausbildungsmöglichkeit etablierte sich rasch, da Internate oder Hauslehrer für viele Farmer zu teuer waren. Ein Nachteil dieser Schulart besteht allerdings in der isolierten Lernsituation der Kinder. Jedes ist auf sich und die Hilfe eines Erwachsenen angewiesen, der in die Rolle eines Ersatzlehrers schlüpft.

Diese Problematik erkannte auch Adelaide Miethke – die geistige Mutter der School of the Air. 1944 kam Sie als Mitglied einer Delegation, des Royal Flying Doctor Service (RFDS) nach Alice Springs. Sie erkennt die Chancen des Radio-Kommunikationssystemes, dass die Fliegenden Ärzte nutzen. Speziell ausgebildete Lehrer sollen die Kinder unterrichten und diese kommen zusätzlich in Kontakt mit Altersgenossen.

Die erste Funk-Schule wurde 1951 in Alice Springs eröffnet. Mit Unterstützung des Royal Flying Doctor Service in anderen Zentralorten Schools of the Air für andere Correspondence Schools gegründet: 1956 in Broken Hill (New South Wales); 1958 in Ceduna (South Australia) und Port Augusta (South Australia); 1959 in Meekatharra (Western Australia); 1960 in Mount Isa (Queensland) und in Derby (Western Australia); 1962 in Kalgoorlie (Western Australia); 1964 in Port Hedland (Western Australia); 1966 in Katherine (Northern Territory) und in Charlesville (Queensland) sowie 1968 in Carnarvon (Western Australia) und 1973 in Cairns (Queensland).

Eine Besonderheit stellen die beiden Schulen des Northern Territories in Alice Springs und Katherine dar. Sie vereinigen seit 1973 den kombinierten Unterricht über Rundfunk (verbunden mit Lehrer-Hausbesuchen) und schriftlicher Fernkurse – unter einem Dach. Die anderen Schools of the Air sind nur für den Rundfunkbereich zuständig, der Hauptteil des Unterrichts wird durch schriftliche Fernkurse anderer Schulen vorgenommen. Die Schule in Katherine verfügt beispielsweise auch über ein eigenes Programm für die Schulbildung der Aboriginals.

Das grösste Klassenzimmer der Welt

Allein die School of the Air in Alice Springs (im Zentrum des Australiens) versorgt ein Gebiet von über 1,3 Millionen Quadratkilometern. Das entspricht etwa der vierfachen Fläche Deutschlands und der über dreissigfachen Fläche der Schweiz. Die durchschnittlich rund 140 Schüler wohnen bis 1.000 Kilometer vom Schulgebäude entfernt. Über die Vorschule und den Kindergarten gibt es bis zum siebten Schuljahr insgesamt neun Klassen, in denen zwischen acht und 18 Schüler im Alter zwischen 4 ½ und 13 Jahren unterrichtet werden.

Die Schule in Katherine (im nördlichen Northern Territory) versorgt zum Beispiel 800.000 Quadratkilometer und Bewohner des Northern Territories, die sich in Übersee und in anderen Teilen Australien aufhalten. Zur Zeit arbeitet die Schule auch mit Kindern in Kanada und in Indonesien.

Finanziert werden die Schulen durch das Bildungsministerium des jeweiligen Bundesstaates. Von den Eltern wird eine geringe freiwillige Schulgebühr erhoben Ein Schulkind der School of the Air kostet den Staat etwas das Doppelte im Vergleich zu einem Kind an einer städtischen Schule. Die Alternative – das Internat – wäre jedoch noch teurer.

Lehrer mit Fernsteuerung

Die Lehrer sitzen in der jeweiligen Schaltzentrale. Von dort vergeben sie die Übungen und kontrollieren die Hausaufgaben. Es gibt z.B. in Alice Springs täglich eine halbstündige Sitzung pro. Jede Woche hat dazu jeder Schüler 10 Minuten private Radiozeit mit dem Klassenlehrer. Die Radio-Stunden ergänzen die Arbeit an den Fernkursen zu Haus, für die die Schüler fünf bis sechs Stunden pro Tag an sechs Tagen der Woche aufwenden.

Der Unterricht im Stile eines Schulfunk – als Einwegkommunikation – wurde bald von der Zweiweg-Übertragung abgelöst. Die Schüler erhalten einen Transceiver (Radiosender mit -empfänger), nehmen aktiv an den Unterrichtsstunden, bekommen sofort eine individuelle Rückmeldung von ihren Lehrern und können Probleme mit den schriftlichen Fernunterrichts-Materialien besprechen.

Probleme gab es manchmal wegen schlechter Übertragungsqualität. Manchmal ein Schüler „Relaisstation“ für entfernte, näher bei ihm wohnende Schüler spielen muss, indem er deren Beitrag, den er noch empfangen kann, an den Lehrer weitergibt, der den Beitrag nicht verstehen kann.

An der Verbesserung der Übertragungsmöglichkeiten wird ständig gearbeitet: Seit Anfang der 90er Jahren erhielten viele Stationen im Hinterland sehr gute Telefonverbindungen durch solarbetriebene automatische Sender- und Empfängerstationen die entlang der transkontinentalen Glasfaserleitungen die Kurzwellenverbindungen ins Glasfasernetz einspeisen. Dies ermöglicht der School of the Air häufigere und bessere persönliche telefonische Kontakte zu Schülern und Betreuern. 1992 konnten die Schüler ihre Lehrer erstmals in Live-TV-Übertragungen über Satellit erleben.

Das Internet erobert auch die Farmen im Outback. Immer mehr Eltern und Schüler nutzen das Web und kommunizieren begeistert über e-Mail. Der benötigte Strom wird über Dieselgeneratoren selbst erzeugt. Die Familien können die notwendige Ausstattung (den Transceiver, TV-Geräte, Video-Recorder, Kassettenrekorder und Laptop-Computer) für eine geringe Gebühr von der Schule mieten. Die EDV-Ausbildung zählt mittlerweile ebenfalls zum festen Repertoire der Schulen.

Der Unterrichts-Alltag

Der Klassenlehrer ist verantwortlich für die Fernkurse jedes einzelnen Kindes seiner Klasse, die das hauptsächliche Mittel des Unterrichts sind. Dabei muss er darauf Rücksicht nehmen, dass die Einheiten von den Kindern und ihren Betreuer verstanden werden können. Ein großer Teil der Lernmaterialien wird für individuelle Klassen oder Kinder geschrieben oder angepasst. Sie gehen schriftlich auf den individuellen Schüler ein, wie es üblicherweise der Lehrer im Klassenzimmer tut. Klar, dass diese Art des Unterrichtes auf vom Lehrer einiges fordert: Von ihm wird erwartet, dass er ein erstklassiges Kommunikationsgeschick besitzt – in Sprache und Schrift.

Zu Beginn jeder Stunde meldet sich jeder Schüler. Fehlende Kinder werden telefonisch angemahnt. Die Lektionen sind nicht länger als 20 bis 30 Minuten, da die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern bei dieser Art von Unterricht sehr kurz ist. Auch Wahlfächer werden über Funk-Unterrichtsstunden angeboten, wie Kochen, Erste Hilfe, Drogenberatung, Briefmarkensammeln, Kunsthandwerk und Gesangsstunden. Klassen werden für den Unterricht hin und wieder zusammengefasst, z.B. für Konzerte oder zum Gespräch mit Besuchern der Besucherzentren der Schulen.

Da von der School of the Air in Katherine z.B. besonders hohe Frequenzen benutzt werden, können manche Unterrichtsstunden sogar in Mitteleuropa oder der Antarktis gehört werden.

Hausaufgaben mit dem LKW

Die „Road Trains“, die großen Viehtransporter, waren lange Zeit gleichzeitig Post- und Lieferauto. Mit ihnen kamen vor dem Web-Zeitalter die Übungshefte zu den Schülern und die fertigen Hausaufgaben zurück zur Lehrerin zur Schule. Die Lernmaterialien wurden in Paketen für jeweils zehn Tage vorbereitet. Nach jeweils zehn Tagen wurden die Arbeiten der Schüler zusammen mit einem Bericht des Betreuers zurückgeschickt. Die Lehrer korrigierten die Arbeiten, machten Anmerkungen und fügen eventuell notwendige zusätzliche Übungen und Anleitungen (für Schüler und Betreuer) hinzu. Dann werden die Arbeiten wieder an den Schüler verschickt. Dadurch konnte es schon mal ein paar Wochen dauern, bis ein Diktat korrigiert ist.

Selten im Schulhaus

Zu Beginn jedes Schuljahrs treffen sich die Kinder in der Schule. Dort lernen sie ihre Klassenkameraden und Lehrer kennen. Während des Schuljahres treffen sich die Kinder oft zusammen mit ihren Familien für ein paar Tage zum gemeinsamen Sport, einem Klassenausflug oder einem Theaterspiel. Wenn die Eltern eine der seltenen Einkaufsfahrten machen, kommen die Kinder mit und verbringen ein paar Stunden in der School of the Air.

Lehrer auf Hausbesuch

Einmal im Jahr machen die Lehrer ihre Runde durchs Outback um ihre Schüler zu besuchen. Dabei reisen sie Tausende von Kilometern, auch um die Lernumgebung zu sehen und die individuellen Bedürfnisse der Schüler kennen zu lernen. Die meisten Besuche erfolgen mit schuleigenen Allradfahrzeugen, öfter wird aber auch das Flugzeug verwendet. Zu den Fähigkeiten eines Lehrers gehört beispielsweise auch, dass man bei einer Tour durchs Outback Reifen wechseln oder einfache Reparaturen ausführen kann. Etwa ein Viertel der jährlichen Arbeitszeit der Lehrer verwendet für diese Hausbesuche.

Die Lehrer müssen wegen der riesigen Entfernungen oft im Elternhaus ihrer Schüler übernachten und kennen so die familiäre Umgebung ihrer Schüler besser als die meisten Lehrer mit „normalen“ Klassen. Die Kinder genießen es, ihren Lehrern ihre eigene Welt in der Wildnis zeigen zu können. Dabei lernt der Lehrer die Kinder besser kennen und sieht auch, welche Fähigkeiten in ihnen stecken, die vielleicht im regulären Schulbetrieb untergehen. Aufgrund der Erfahrungen bei diesen Reisen erarbeiten die Lehrer für einzelne Schüler spezielle Lernmaterialien.

Außerdem wird von Lehrern erwartet, dass sie eine weite Palette von Technologien beherrschen und sich darauf einstellen, dass diese Technologien sich ständig weiterentwickeln – letztlich immer unter dem Aspekt des Nutzens der Schüler.

Auch im Outback gibt es Nachhilfe

Rund ein Drittel der Familien bezahlen jemanden, damit er den Kinder bei den Schularbeiten hilft. Oft sind dies junge Mädchen aus der Stadt, die gerade die Sekundarschule absolviert haben. Sie kommen mit einer romantischen Vorstellung vom wilden Outback, werden aber von der Einsamkeit und rauen Natur enttäuscht und packen schon bald wieder ihre Koffer. Manche der bezahlten Betreuer sind aber auch arbeitslose Lehrer.

1988 wurde außerdem das Programm „Volunteers for Isolated Students in Education“ (VISE) gegründet. Pensionierte Lehrer gehen dabei für etwa sechs Wochen zu Kindern im Hinterland, die besondere Lernschwierigkeiten haben oder deren Mütter eine zeitweise Entlastung brauchen. Diese Lehrer erhalten Reisekosten, Kost und Logis.

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